Nach Geheimtreffen von Rechtsextremen: Sachsens AfD lädt Teilnehmer als Experten für Integrationsgesetz ein
Der Freistaat will Integration und Teilhabe von Einwanderern zum Staatsziel machen. Die AfD lädt als Sachkundigen einen Juristen ein, der an der Geheimkonferenz zu Massendeportationen aus Deutschland teilnahm.
Würde er wirklich kommen? Seine Einladung war hoch umstritten, aber Ulrich Vosgerau ist da. Am Montagmorgen sitzt er in einem Beratungsraum des Sächsischen Landtags in einer Reihe mit fünf anderen Experten. Die AfD hatte den Juristen als Sachkundigen für das geplante sächsische Integrations- und Teilhabegesetz bestellt.
Im Ausschuss für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt werden an diesem Tag Expertenmeinungen vorgetragen und diskutiert. Es gibt Lob und Kritik für das Gesetzesvorhaben, über das in Sachsen seit Jahren gerungen wird. Doch die Anwesenheit dieses Mannes polarisiert. Özcan Karadeniz vom Dachverband Sächsischer Migrantenorganisationen sagt, dass man aufpassen müsse, dass die Demokratie nicht zersetzt werde und spitzt zu: „gerade in Zeiten von Fantasien einer Wannseekonferenz 2.0“.
Erst beim „Masterplan“ zur Deportation, jetzt als Experte für Integration
Die Nationalsozialisten beschlossen 1942 in einer Villa am Großen Wannsee bei Berlin die systematische Ermordung der europäischen Juden. Gut 80 Jahre später trafen sich im November 2023 nur wenige Kilometer entfernt am Lehnitzsee bei Potsdam Politiker der AfD mit einem Anführer der rechtsextremen, völkischen Identitären Bewegung, um über einen „Masterplan“ zu beraten, mit dem bei einer Regierungsübernahme der AfD Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland ausgewiesen werden könnten – sogar wenn sie einen deutschen Pass haben.
Teilnehmer des Treffens im Landhaus Adlon war auch Ulrich Vosgerau. Der Verfassungsrechtler sprach dort über Wählerinnen türkischer Herkunft und Bedenken, dass diese sich bei Briefwahlen keine unabhängige Meinung bilden könnten. Und er äußerte Zustimmung zu einer Idee, ein Musterschreiben zu entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen.
So berichtet es das Recherchenetzwerk Correctiv, das das Geheimtreffen aufdeckte. Im Sozialausschuss des Sächsischen Landtags darf Vosgerau nun darlegen, was er von dem geplanten „Gesetz zur Förderung der Integration und Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund im Freistaat Sachsen“ hält.
Mehr Migranten in der öffentlichen Verwaltung – Vosgerau hat Bedenken
Nach vielen westdeutschen Bundesländern will jetzt auch Sachsen mit einem Gesetz die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und ihre Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben verbessern. Der Gesetzentwurf beschreibt Integration als Gemeinschaftsaufgabe von Land und Kommunen und soll dafür Strukturen schaffen.
Für die Sachkundigen mancher Parteien ist der Entwurf zu unverbindlich, andere halten ihn für zu weitgehend. Ein Referent des Sächsischen Landkreistages kritisiert die aus seiner Sicht fehlende Balance zwischen Fördern und Fordern, etwa bei Spracherwerb und Arbeitsaufnahme. Der Migrantenvertreter hingegen sieht einen Fokus zu einseitig auf die Assimilation Betroffener. Kritisiert wird auch die Beschränkung des geplanten Gesetzes auf Menschen mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus.
Ein konkretes Ziel des Gesetzes lautet: In der öffentlichen Verwaltung sollen Menschen mit Migrationshintergrund angemessen vertreten sein. Der von der AfD bestellte Experte hält das für bedenklich. Ulrich Vosgerau, der selbst CDU-Mitglied ist, spricht von Bestenauslese und verweist auf Grundgesetz und sächsische Verfassung, nach denen allein Eignung, Befähigung und fachliche Leistung über den Zugang in öffentliche Ämter entscheiden sollen.
Im Integrationsgesetz geht es etwa darum, dass Behörden in Stellenanzeigen darauf hinweisen sollen, dass Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich erwünscht sind. Vosgeraus Sicht der Dinge lautet dazu: Entweder mache Sachsen ein Gesetz, das nichts bedeute – oder es wäre verfassungswidrig.
Der Jurist empfiehlt einerseits, vom bayerischen Integrationsgesetz abzuschreiben, nach dem von Migranten die Rückzahlung der Kosten von Sprachkursen verlangt werden kann, wenn sie nicht ausreichend Deutsch lernen. An anderer Stelle erklärt er aber auch:
„Meines Erachtens müsste es das Gesetz nicht zwingend geben.“ Unterstützung erhält er dabei von der Islamkritikerin Laila Mirzo, die ebenfalls von der AfD als Sachkundige in die Anhörung eingeladen wurde. Sie formuliert noch deutlicher: „Dieses Gesetz sollte es so gar nicht geben.“
Worum es aber tatsächlich geht und was bei der AfD keine Rolle spielt, bringt von den Sachkundigen am deutlichsten der Sächsische Ausländerbeauftragte zum Ausdruck. Es gehe, so Geert Mackenroth, um die Fähigkeit eines Landes, das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu organisieren – „frei von stereotypen Zuschreibungen und Vorurteilen“ und „ihnen konstruktiv und respektvoll zu begegnen“ wie es im Gesetzentwurf heißt.
Linke: Es spricht Bände über die AfD, dass sie an der Einladung festhielt
Mackenroth, dessen Amt künftig Integrationsbeauftragter heißen soll, hält das Integrations- und Teilhabegesetz deshalb für ein wichtiges Aufbruchssignal – für alle Menschen im Freistaat, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Erstmals formuliere Sachsen ein solches Staatsziel in einem Gesetz, sagt er.
Der CDU-Politiker erklärt, was das im Alltag bedeutet: Wer hier lebt, soll Deutsch können, „aber Mehrsprachigkeit ist kein Teufelswerk.“ Es gehe dabei auch um kleine Gesten, Menschen fühlten sich wohler, wenn sie auch mal in ihrer Muttersprache angesprochen werden. Es könne doch nicht richtig sein, sagt Mackenroth, wenn ausländische Studierende im Welcome Center der TU Dresden mit dem Hinweis empfangen würden: „Amtssprache ist Deutsch“.
Die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Juliane Nagel, kritisiert die Unverbindlichkeit des Gesetzentwurfs. Nach der Sitzung schreibt sie, offensichtlich hätten sich die kommunalen Interessenverbände erfolgreich dagegen gewehrt, Integrationsleistungen zur Pflichtaufgabe zu machen.
Zugleich kritisiert sie: „Es spricht Bände über die AfD, dass sie Vosgerau für die heutige Anhörung eingeladen und daran festgehalten hat.“ Diese Partei stehe inzwischen öffentlich zu ihren Plänen, Millionen Menschen zu deportieren, deren Herkunft, Aussehen oder Denkweise ihr nicht passten.